Das japanische Wort Hikari bezeichnet etwas, das man im Deutschen als Leuchten oder auch Strahl bezeichnen kann. Warum der
Verleih für Hikari den deutschen Titel Radiance gewählt hat, erschließt sich mir nicht. Das Wort ist mir nicht unbekannt,
mein Lieblingsregisseur Hirokazu Kore-Eda hat vor After Life Maboroshi no Hikari, das Leuchten
der Morgenröte, gedreht. Es scheint ein besonderer Zustand zu sein, dem sich Naomi Kawase widmet. Bevor sie zu
Futatsume no mado und Kirschblüten und rote Bohnen Regie
geführt hat, hat sie ähnlich wie Hirokazu Kore-Eda Dokumentarfilme gedreht. Vielleicht ist das der Grund, warum die
Kameraeinstellungen eine besondere Wirkung haben.
Hikari, den ich gestern im japanischen Original mit gut lesbaren Untertiteln gesehen habe, versucht sich an mehreren
schwierigen Aufgaben. Misako Ozaki versucht, eine ausgewogene Audiodeskription eines anderen Filmes für Blinde zu entwickeln.
Dabei wird sie von mehreren Blinden unterstützt, unter denen sich der ehemalige Fotograf Masaya Nakamori befindet. Er ist
noch nicht vollständig erblindet, aber sein Augenlicht wird zusehends schwächer. Das Problem einer Audiodeskription ist noch
komprimierter als das einer Filmkritik. Es gibt zwar Pausen, in denen nichts gesprochen wird, aber die Beschreibung darf
nicht zu ausladend sein, weil sonst kein Platz für die Vorstellung bleibt, andererseits soll sie alles Wichtige an nicht
hörbaren Informationen mitgeben. Eine Schwierigkeit besteht darin, keine Wertungen abzugeben, aber dennoch die Stimmung im
Film herüberzubringen. Eine Filmkritik macht dasselbe, wobei die Auslassungen größer sein können.
Hikari zeigt, inwieweit Misako Ozaki auf die Rückmeldungen der Blinden angewiesen ist, die erst recht zurückhaltend sind,
aber dann immer präziser werden. Insbesondere Masays Nakamori scheint an seinem Schicksal schwerer zu tragen, und es ist
nicht ganz klar, ob er in seinen Rückmeldungen nicht auch die Wut über das sich verschlimmernde Leiden ablässt. Unwillkürlich
habe ich begonnen, nach Deskriptionen für die Landschaftsaufnahmen zu suchen, aber festgestellt, dass gerade sie es sind, die
den Reiz der Filme von Naomi Kawase und Hirokazu Kore-Eda ausmachen, weil sie eine Stimmung vermitteln, ohne dass darüber
etwas gesagt wird. Insbesondere das Leuchten von Sonnenuntergängen und auch andere Arten der Beleuchtung werden in diesen
Einstellungen ein Thema in Hikari.
Nachdem ich am Sonntag mir eine Predigt zum Erntedankfest über die Entfremdung des gemeinen Düsseldorfers von der Natur
anhören durfte, war ich etwas überrascht, wie naturnah manchmal die hochtechnisierten Japaner sind. Alles in allem gibt es
für Hikari 14 Euro für gezahlte 8,50 Euro.